gerettete Erinnerungen:
"7. August 2009:
Es war noch Dunkel in jener Stadt, deren Sprache wir nicht verstanden
als uns der Bus im Nirgendwo absetzte, wo Menschen mit scharfen
Gesichtszügen und dunklen Augen geschäftig Scheiben putzten oder das
Geld in der Kasse zählten. Ein kleines Universum weit ab der Stadt, wo
sich scheinbar jeder kennt und jeder Fremdling willkommen ist.
Ich
bestellte mir eine Cola und mein Gegenüber löffelte in einer gelblichbraunschimmernden Linsensuppe herum. Das Gepäck war schwer und
Gedanken mussten geordnet werden wie es von hier aus nun weiterginge.
Was
faszinierte dich an der Fremde, fragte ich mein Spiegelbild, denn ich
war leer und erschöpft. Ich hatte keine Lust mehr auf die Fremde und das
Gefühl der Fremdling zu sein. Ich sehnte mich in jenem Augenblick in
die Wälder meiner Heimatstadt.
Nachdem sich die kalte Cola in
mir ausgebreitet hatte und mein Gegenüber vom Streifzug durch den
Mikrokosmos wiederkam, packten wir unsere Sachen und machten uns auf zur
nächsten Station. Vor uns prangte ein orangenes leuchtendes M das hier
für Metro steht und wir schauten nach unten wo uns röhrenartige und
leere Augen anstarrten.
Ich schaute auf meine Uhr, noch eine Stunde bis
sie öffnet, noch eine lange Stunde in der Kälte und der Schwere. Ein
Mann winkte von weitem und bot uns zwei Plätze vor seinem Restaurant an,
das scheinbar rund um die Uhr geöffnet hatte. Er war gleichzeitig auch
der Jeton-Verkäufer und sein Gesicht erinnerte an die Züge eines
alternden italienischen Gemüseverkäufer.
Um uns die Zeit zu
vertreiben nahm ich die vor mir platzierte und hübsch aussehende
Serviette zur Hand und bastelte zum Erstaunen meines Gegenübers eine
orangefarbene Origami-Katze daraus.
"Die Stunde ist um!"
Und schon
bald liefen wir mit den eben gekauften Jetons die Stufen hinab, ließen
uns von den von oben noch spooky wirkenden Schleusen aufnehmen und in
die silbern glänzende Metro spucken. 6 Stationen später hatten wir das
angebliche Ziel erreicht und wir liefen die menschenleeren Gänge entlang
bis uns, ja bis uns von oben jemand beobachtete, mit großen Augen und
rotgeschecktem Fell. Sie lief geschmeidig und langsam die Stufen hinab
und wob sich sicher um meine Beine..."
ein altes Geschenk: (von Lila G- Pahr)
sie hatte die alte kamera, die sie am dachboden gefunden hatte,
tatsächlich bis hierher getragen. es war völlig unlogisch, was sie hier
tat. normalerweise steckt man das ding in einen koffer oder in den
rucksack, oder man verwendet überhaupt eine von diesen sündteuren
kamerataschen, wie sie die touristen immer haben. aber nein, sie musste
diese alte kamera tragen. von der wohnung weg runter zum traxi, dann am
flughafen bis zum sicherheitscheck, wo die kamera wie ein relikt aus
alter zeit zwischen den modernen handtaschen auf dem laufband
entlangfuhr und auf der anderen seite von ihr schon erwartet wurde. und
wieder hatte sie die kamera in die hand genommen und zum abflugschalter
getragen und ins flugzeug hinein, und auch später, den ganzen marathon
zu ihrem hotel, in die lobby und hinauf in ihr zimmer, hatte sie sie
nicht aus der hand gegeben.
nun sass sie in ihrem hotelzimmer auf dem
bett und schaute die kamera an. nahm einen schwarzweiss ilford aus der
seitentasche ihres koffers, der in der silberfolie steckte, die die
röntgenstrahlen des sicherheitschecks am flughafen abblockte und legte
ihn vorsichtig ein. lächelte ein bisschen, legte die kamera neben das
bett auf das nachtkästchen und begab sich dann bald selbst zur ruhe. vor
dem einschlafen dachte sie noch kurz über die vermeintliche
sinnlosigkeit ihres tuns nach. ihr vater wollte ihr vor ihrer reise eine
digitalkamera kaufen, aber sie hatte dankend abgelehnt und gemeint, sie
hätte ja schon eine kamera. was er mit leichtem kopfschütteln quittiert
hatte, aber dann hatte er gelächelt wie immer, wenn sie solche dinge
machte. aber wie willst du damit fotografieren, hatte er gesagt, die
kamera funktioniert nicht mehr. wie eine alte uhr, deren herz aufgehört
hat, zu schlagen.
als sie am frühen morgen nach einem schnellen
frühstück und einem blick in die morgenzeitung das hotel verliess, hing
die alte kamera an einem lederriemen um ihren hals. sie griff manchmal
danach und hielt sie für einen kurzen augenblick fest. so ging sie die
strassen entlang, warf manchmal einen blick in den stadtplan, den sie in
ihrem rucksack mitgenommen hatte und kam nach einiger zeit am rand der
stadt an. sie rastete einen moment im schatten einer gruppe von palmen,
die die stadt wie einen wall aus frischem grün umgaben, lehnte sich an
den stamm eines baumes und schloss die augen. wie von selbst fuhr ihre
hand zu der alten kamera, sie umfasste sie vorsichtig und fühlte
plötzlich, wie ein strom von erinnerungen, wie alte bilder
in
sepiafarben, dem uralten gegenstand entwich. sie wunderte sich kein
bisschen. genau so hatte sie es sich vorgestellt. es war der richtige
ort dafür.
sie sah die wüste, palmenhaine und menschen, die
darunter lagerten, elegante männer und frauen in hotellobbies, an
tischen sitzend, rauchend, sich angeregt unterhaltend, behandschuhte
livrierte kellner, die auf silbernen tabletts getränke servierten, sie
sah einen saal mit hohen fenstern, in dem kristalluster leuchteten, mit
grossen spiegeln an den wänden und in den spiegeln sah sie paare tanzen,
ein orchester auf einer bühne und eine sängerin vor einem antiken
mikrophon, sie sah basare und händler, alte bücher, deren titel sie
sogar lesen konnte, es waren alles bücher mit geheimnisvollem inhalt,
die sie selbst gern besessen hätte. sie sah portraits von menschen, die
in vielem unterschiedlich waren, denen aber immer eins gemeinsam war:
sie hatten alle denselben ausdruck in den augen. interessante menschen,
die sich gewiss nie mit der oberfläche der dinge zufriedengaben, sondern
darunter sahen,
zum herz der dinge, das, wie man weiss, niemals
aufhört, zu schlagen. dann, ganz am schluss, blickte sie in ihr eigenes
fragendes gesicht, das sich gerade über die kiste am dachboden beugte.
als
sie die augen wieder öffnete, war der schatten der bäume um ein stück
weitergewandert, die morgensonne schien ihr ins gesicht und liess die
bilder, die sie gesehen hatte, zu schatten ausbleichen. wie ein
sepiaschleier waren sie nun auf ihrer netzhaut gefangen und sie liess
sie nicht wieder fort. mit der einen hand hielt sie immer noch die alte
kamera umfasst.
sie lächelte. die wüste war für sie immer ein ort des
lebens gewesen. wenn man unter die oberfläche der dinge blickt, dann
ist es auch so. ein ort der stille, ein kraftvoller ort. nichts von den
alten erinnerungen geht hier verloren. es gab nichts, was ablenken
konnte, von der vergangenheit, vom jetzt. hier war alles ein ding.
begleitet von einem strom verblasster bilder, die im sonnenlicht wie feine schatten wirkten, betrat sie die wüste.
3 Kommentare:
So, liebe Herzkönigin... auch wenn Du nicht mehr hier bist...vielleicht liest Du es eines Tages, ich habe keine Ahnung wie ich Dich sonst finden sollte...
hier ist der Fisch, der eine, komische, der die Blogbeiträge einer anderern und ab und zu auch Deine, gerne, begleitet und kommentiert hat-
nun ist es mir auch so ergangen und es ist unendlich grausam nach fast 20 Jahren voller Versprechen von nie endener Liebe und Freundschaft, wurde auch ich aussortiert von der guten Frau aus Graz- die sie nie mehr sein wird oder nie war?
Alles irre. Was für ein Fehler, diese Reise in ihre persöhnliche Hölle... bis zur Beschrimpfung auf offener Strasse am letzten Tag war alles dabei... und wenn man nun so liest was sie vor kurzem darüber schrieb-
wieder ein Fehler, warum mußte ich hinsehen?
Ich hätte es sehen müssen als es Dir so ging und auch den ganzen anderen, die sie lange Freunde nannte- aussortiert. Und was dieses schrieben sprach Bände! Und ich habs nicht gerafft. Dass es sie nicht mehr gibt.
Also RIP, unbekannte Frau aus Graz. Ich hoffe sie hört auf von mir zu sprechen, ich ertrage diese Verleugnungen nicht. Ich hoffe sie verbrennt meine Briefe, ich ertrage nicht daß sie mein Leben bei sich hat. Ich hoffe sie holt sich hilfe - oder bekommt welche damit sie nicht noch mehr Menschen in den Abgrund zieht.
Ich hoffe es geht Dir gut!
Der unbekannte Fisch
Hallo Fisch,
nun ist schon wieder soviel Zeit vergangen aber ich habe deine Zeilen gelesen und einerseits tun sie weh, anderseits öffnen sie mir die Augen, mehr und mehr. Oft noch denke ich an das Mädchen aus Graz, deren Welt ich sehr mochte und doch immer den Schatten der Verdammnis, des "aussortiert werdens" spürte. Es tut mir leid für Eure Freundschaft. Ich dachte immer, wenn sie dich hat, wenn deine Freundschaft das Fundament ihres Wesens ist, dann wird schon alles gut. Und dann las ich ihren Bericht über Schottland und war sehr erschüttert. In diesem wunderbar grünen Land eine Freundschaft zu zerbrechen.....wow. Ich denke an dich und hoffe das du auch diese Zeilen einmal liest. Ich hoffe du hast es irgendwie überwunden, irgendwie verkraftet, verarbeitet.
einen lieben gruss an den unbekannten fisch vom meeresrauschen
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